Schulabstinenz, Schulvermeidung und Schulphobie

Die Klinik Walstedde hat in den letzten Jahren zunehmend Anfragen erhalten von Klientinnen und Klienten mit unter anderem dem Aspekt der Schulvermeidung, der Schulabstinenz und Schulphobie.

Dies in den meisten Fällen in komplexeren Gesamtzusammenhängen, sodass unsere übliche differentialdiagnostische Tätigkeit hierzu ganz unterschiedliche Entwicklungsfade in die jeweilige Schulproblematik erkennen ließ.

Seit 2019 hat die Klinik Walstedde gemeinsam mit der Tagesklinik für psychiatrische, schulbezogene Störungen im regionalen Verbund mit der im Jahre 2016 eigens gegründeten Klinikschule sehr viele Erfahrungen mit den Themen „Schulvermeidung, Schulabstinenz, Schulphobie" machen können und spezifische Konzepte zur gestuften Wiedereingliederung in eine alters- und begabungsgemäße Beschulung entwickeln können.

Diese beiden Bedarfsaspekte haben wir nun in der Klinik Walstedde zu einem vollstationären Konzept, welches überregional den betroffenen Klientinnen und Klienten und ihren Familien angeboten wird, weiterentwickelt.

Ab dem 01.12.2024 können in der Klinik Walstedde entsprechende Problematiken stationär kinder- und jugendpsychiatrisch weitergehend differentialdiagnostisch eingeordnet und in ihrer Gesamtproblematik differentialindikatorisch behandelt werden.

Hier ist bezogen auf die Schulhinführung ein individuell abgestuftes Angebot in Abhängigkeit von der gerade aktuell bestehenden Verhaltensmöglichkeit des betroffenen Kindes und Jugendlichen möglich.

Als Allererstes zeigt sich in dem in Stufen und Modulen aufgebaute Programm die dringende Notwendigkeit, aber auch Möglichkeit, zur differentialdiagnostischen Einschätzung der oftmals komplexen Gesamtproblematik.

Hier wird im Besonderen untersucht, ob eine biologisch-psychiatrische Erkrankung aus dem Formenkreis der Psychosen bzw. der affektiven Erkrankung vorliegt.

Darüber hinaus finden dann lebensgeschichtliche differentialdiagnostische Erwägungen statt sowohl was die frühe Sozialisierung angeht als auch dann im weiteren Verlauf die ganz konkreten Erfahrungen zum Beispiel im Schulkontext mit Mobbing und frustranen Erfahrungen, die teilweise ja bis hin zu traumatisierenden Erfahrungen sich dargestellt haben.

In diesem Kontexten kann es oftmals auch dazu kommen, dass sich eine Persönlichkeitsentwicklungsstörung anbahnt, sodass konkrete lebensgeschichtliche Erfahrungen sich generalisiert in dem Persönlichkeitsstil manifestieren und damit auch generalisiert in unterschiedlichen Anforderungssituationen zum Beispiel im Kontext von Leistungsabruf, Bewertungskontexten etc. zu entsprechenden Reaktionen führen, die die betroffenen Kinder und Jugendlich häufig weit hinter ihren alters- und begabungsgemäßen Möglichkeiten zurücklassen.

Bezogen auf die lebensgeschichtlichen Aspekte wird dann auch das tatsächliche Vorhandensein einer möglichen komplexen Traumafolgeerkrankung untersucht und auch mit spezifischen Behandlungsangeboten konkret der Behandlung zugeführt.

Unserer Erfahrung nach zeigt sich, dass in den meisten Fällen nie allein die Schulthematik an sich bedeutsam ist, sondern komplexe Gesamtzusammenhänge sich am Ende in einer Endstrecke auf die Funktionalität und die Verhaltensmöglichkeit im schulischen Kontext entsprechend auswirken und damit ja oft auch erstmalig als ein sogenanntes Indexsyndrom darstellen.

Für diese diagnostischen Einschätzungen findet nicht nur eine isolierte Betrachtung des jeweiligen Kindes und Jugendlichen statt, sondern natürlich der gesamtfamiliäre Kontext, auch teilweise über Generationen hinweg, und der gesamtpsychosoziale Kontext auch bezogen auf weitergehende Angehörige, Freundinnen und Freunde, entsprechende Erfahrungen in den jeweiligen professionellen pädagogischen Settings sowohl in der Kita als auch in der Schullaufbahn.

Auch die bis dahin schon etablierten Helfersysteme, sowohl die ambulanten Therapeutinnen und Therapeuten als auch die Unterstützung aus dem Schulkontext oder Jugendhilfekontext, werden in die gesamtdiagnostische Beurteilung und in den Behandlungsplan integriert. Dies auch über die Entfernung bei überregionalem Behandlungsangebot unsererseits.

In die Diagnostik fließen natürlich auch die Erfahrungen der bisherigen Schulwiedereingliederungsbemühungen ein, also auch der unmittelbare Kontakt mit den dort beteiligten Schulen, Lehrerinnen und Lehrern sowie zum Beispiel Integrationsfachkräfte etc.

Aus diesem intensiven differentialdiagnostischen Prozess erfolgt dann natürlich auch die differentialindikatorische Behandlungsplanung.

Hier werden also möglicherweise diagnostizierte Grundproblematiken konkret und spezifisch einer Behandlung zugeführt.

In Abhängigkeit von den Ergebnissen dieser Behandlung bezogen auf die Schulfähigkeit wird dann weiter geschaut, inwieweit auch spezifische Schulhindernisse vorliegen, die auch unabhängig von vordiagnostizierten anderen seelischen Beeinträchtigungen vorhanden sind und/oder ob sich eine nicht selten vorhandene sekundäre Entwicklung mit dann auch im Grunde eigenständiger Manifestation der Schulabstinenz ergeben hat.

Zum Beispiel könnte es im Rahmen einer depressiven Erkrankung, die bisher nicht ausreichend erkannt und behandelt war, auch zu einem entsprechenden Einbruch der Schulfähigkeit gekommen sein. Nach jetzt Diagnostik dieser depressiven Erkrankung und erfolgreichen Behandlung hier vor Ort kann es aber sein, dass die gelernten Vermeidungsmuster weiterhin aufrechterhalten werden und dann eine klassische Schulhinführung stattfinden sollte und auch hier dann umgesetzt werden kann.

Bezogen auf die Schulhinführung ist neben den psychiatrischen und psychotherapeutischen intensiven, aber auch spezifischen Behandlungsmaßnahmen ein gestuftes Heranführungsprogramm in der Klinik Walstedde möglich.

Dies kann mit niederschwelliger Heranführung an überhaupt wieder Leistungserbringung vielleicht auch zunächst einmal in scheinbar schulfernen Kontexten möglich sein, da oftmals Bewertungsängste etc. im Rahmen von Leistungserbringung eine grundlegende Rolle zu spielen scheinen.

Dann kann aber auch ganz konkret die Heranführung an schulspezifischere Anforderungen stattfinden zum Beispiel mit einer ersten Lernstandserhebung mit Klarifizierung der eigentlichen Ausgangssituation, damit hier nicht überwertige Ideen der betroffenen Kinder und Jugendlichen, Fantasien und Angst vor Versagen in den Vordergrund geraten. 

 

 

Ein realistisches Bild über die eigenen Leistungsmöglichkeiten zum querschnittartigen festzustellenden Zeitpunkt hier ermöglicht dann auch eine an dieser Ausgangssituation tatsächlich realistisch orientierten weiteren Planung und Konfrontation mit Schulmaterialien.

So kann dann eine erste Beschulung zum Beispiel auf der Station stattfinden. Dies ist auch von Vorteil für Kinder und Jugendliche, die zum Beispiel im Rahmen anderer seelischer Belastungen eine Geschlossenheit benötigen bezogen auf ihre Behandlung bei zum Beispiel auch gleichzeitig vorliegender Eigen- und auch Fremdgefährdung.

Dann kann eine erste sukzessive und gestaffelte, stufenweise Erweiterung der Beschulung in der Klinikschule stattfinden, dies in enger Kooperation mit den Heimatschulen, im Besonderen auch, was den geforderten Stoff angeht, sodass dann zum Beispiel auch eine weitere Möglichkeit darin besteht, erste Leistungserbringung in Absprache mit der Heimatschule hier zu erbringen und an der Heimatschule als gültig wirksam werden zu lassen.

Diese korrigierenden Erfahrungen, einen ersten Wiedereinstieg in die Leistungserbringung zu ermöglichen, ist oft sehr hilfreich. Daneben zeichnet sich gerade bei der sozialen Interaktionsvermeidungstendenz der Schulabstinenzler hier schon im stationären Kontext im Grunde ab, dass eine Vermeidung der Gleichaltrigengruppe, aber auch pädagogischer erwachsener Personen ja schon allein durch den Aufenthalt in der Klinik Walstedde nicht mehr möglich ist.

Insofern können hier auch erste Konfrontationen stattfinden, die dann übertragen werden können auf den schulspezifischen Kontext in der Klinikschule.

Im Rahmen der Klinikschule können sowohl Einzelbeschulungserfahrungen als auch Gruppenbeschulungserfahrungen gemacht werden. Im Anschluss daran kann eine weitere Steigerung stattfinden, indem entweder erste tageweise Schulversuche in der Heimatschule stattfinden, teilweise auch verbunden mit den Belastungserprobungen an den Wochenenden gerade bei unseren überregionalen Patientinnen und Patienten. Daneben kann aber auch in einer hervorragen den Kooperation mit den hiesigen Regelschulen eine erste Belastungserprobung im Regelschulkontext hier vor Ort stattfinden und auch als selbstwertgenerierende Basis genutzt werden, um dann an anderer Stelle zum Beispiel in der Heimatregion sich einer Beschulung in der Regelschule zu stellen.

In einigen Fällen kann es auch sinnvoll sein, gegebenenfalls auch perspektivisch eine Internatsunterbringung zu planen und zu gestalten. Hier haben wir kooperierende Internate sowohl in der Region als auch überregional, mit denen wir eine entsprechende Perspektivplanung gestalten können. 

Bezogen auf die Regelschulfähigkeit ist oft auch der Schulweg an sich mit Sicherheit eine Hürde. Hier haben wir entsprechende Schulwegbegleitung durch einen entsprechenden Shuttle-Service, der es ermöglicht, die Kinder und Jugendlichen eben an den Ort der Beschulung zu bringen, um diese Hürde zu nehmen und hier Vermeidungstendenzen eben auch entsprechend zu begleiten.

Im Weiteren besteht neuerdings auch die Möglichkeit, mit einem Schulavatar (AV1 – No Isolation) schon von hier aus erste Präsenz in der Schule zu zeigen. Hier haben wir eine Zusammenarbeit mit dem Anbieter No Isolation GmbH auf den Weg gebracht und werden sie natürlich von hier aus unterstützen, in der Heimatschule ein entsprechendes Vorgehen, welches an spezifische formale Kriterien gebunden ist, zu unterstützen.

Die Betreuung der Klinik Walstedde nach erfolgreicher Wiedereingliederung in den schulischen Kontext geht auch über die stationäre Behandlung hinaus. So sind sowohl die ambulante Weiterbehandlung entweder unmittelbar von der Klinik ausgehend mit auch den gleichen Bezugspersonen, die aus der Klinik bekannt sind, möglich oder auch eine besondere tagesklinische Begleitung nochmal speziell entwickelt für die Kinder und Jugendlichen, die schon einen guten Einstieg in den schulischen Kontext geschafft haben. Hier finden dann die Tageskliniktage bis zu zweimal in der Woche am Nachmittag bis zum Abend statt, sodass es dann nicht wieder zu einer Herausnahme aus dem gerade erfolgreich wiedererlangten schulischen Kontext kommen muss.

Im Rahmen der regionalen Versorgung unserer Patientinnen und Patienten ist es natürlich auch möglich, bei zum Beispiel komplexer weitergehender seelischer Problematik über die Schulabstinenz hinaus und erfolgreicher Behandlung derselben einen Übergang in das tagesklinische Setting der Tagesklinik für psychiatrische, schulbezogene Störungen zu ermöglichen. Insofern zeigt sich hier sektorübergreifend in der Versorgungsmöglichkeit ein durchlässiges Versorgungsmodell, welches den jeweiligen individuellen Bedarf der Kinder und Jugendlichen gerecht wird.

Diese gesamten Maßnahmen werden flankiert durch entsprechende Schulsozialarbeit, um entsprechende Übergänge sowohl schulrechtlich als auch in Abstimmung mit den Heimatschulen und den Protagonisten dort organisieren und verlässlich gestalten zu können.

Auch nach der Behandlung in der Klinik Walstedde besteht die Möglichkeit, im Intervall immer wieder im Rahmen von stationärer Behandlung weiterführende Betreuung sicherzustellen, zum Beispiel in den Ferienzeiten oder in Intensivbehandlungseinheiten mit kurzer Dauer, um hier eine Schulunterbrechung eben nicht wieder zu riskieren.

Auch Therapiebegleitung per videogestützter Therapie oder im Rahmen von regelmäßigen Telefonterminen ist möglich.

Für weitergehende Informationen und weitergehende Kostenklärung, können Sie sich auch direkt an die Tagesklinik für psychiatrische, schulbezogene Störungen wenden. Dieses Angebot machen wir auch im Rahmen unseres Jugendhilfebefähigungsprogrammes.

Das stationäre Angebot der Klinik Walstedde findet in besonderen Fällen natürlich auch durch von Eltern bzw. Sorgeberechtigte zu beantragende Unterbringung nach §1631b BGB statt, und zwar dann, wenn die betroffenen Kinder und Jugendlichen sich im Grunde vor dem Hintergrund ihrer Gesamtproblematik auch zu einem ersten stationären Aufenthalt nicht leicht entscheiden können, aber dringend behandlungsbedürftig sind.

Ebenfalls im Rahmen der Gesamtproblematik eines betroffenen Kindes oder Jugendlichen kann allein die Trennung von der Familie und den Eltern bei dann oftmals auch schon länger sozialisierter Rückzügigkeit im häuslichen Kontext insofern unterstützt werden, dass unser „Ich komm. Nicht allein" Behandlungsprogramm hier eine ergänzende Unterstützung darstellen kann, da es hier möglich ist, auch bei älteren Kindern und Jugendlichen mindestens einen Elternteil als Begleitung in der ersten Phase der stationären Diagnostik und Behandlung den Aufenthalt bei uns möglich zu machen, um im Besonderen die Schwelle und die Hürde für die betroffenen Kinder und Jugendlichen entsprechend abzumildern.

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